Das strategische Ziel Israels ist klar: Den Iran entscheidend zu schwächen und seine Atomprogramme zu beseitigen. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass der Krieg gegen Iran sich stark vom Irakkrieg unterscheidet: Die technologischen Entwicklungen der letzten Jahre haben die Natur regionaler Konflikte verändert. Israel sieht sich heute nicht mehr wie früher einer existenziellen Bedrohung ausgesetzt. Vielmehr nimmt es mittlerweile - zumindest nach der Ansicht vieler Staaten - die Position eines Aggressors ein.
Der Iran verfolgt eine gut durchdachte Strategie. Die israelische Seite ist zweifellos sehr selbstbewusst, was nicht unbegründet ist. Doch die Perser sind traditionell dafür bekannt, ihre Aktionen sorgfältig zu planen und die Kräfte des Gegners präzise einzuschätzen. Das Problem besteht darin, dass Israel zunehmend größere internationale Akteure in den Konflikt hineinzieht, weshalb der Iran darauf achten muss, nicht vorschnell auf israelische Angriffe zu reagieren.
Israel geht davon aus, dass steigender externer Druck den Iran innerlich schwächen, seine Wirtschaft zerstören und die Gesellschaft destabilisieren wird. Der Iran seinerseits ist der Ansicht, dass die wirtschaftliche Erschöpfung des Westens, ausgelöst durch den Ukraine-Krieg, zu seinem Vorteil sein wird. Dies wird Russland und China voraussichtlich dazu bewegen, ihn nach dem Prinzip „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“ noch aktiver zu unterstützen.
Es sollte ebenfalls berücksichtigt werden, dass sowohl die europäische als auch die amerikanische Wirtschaft geschwächt und die NATO-Arsenale deutlich erschöpft sind. Hinzu kommt, dass die bevorstehenden US-Präsidentschaftswahlen die Unsicherheit und Verwundbarkeit Washingtons erhöhen. Die Biden-Harris-Regierung kann sich nicht voll und ganz auf den Nahen Osten konzentrieren, da Ressourcen für die Unterstützung der Präsidentschaftskandidatur von Kamala Harris im Inland umgelenkt werden.
Bezüglich der Politik des künftigen US-Präsidenten lassen sich mehrere Annahmen treffen. Sollte Donald Trump gewinnen, ist davon auszugehen, dass die Unterstützung für Israel unverändert bleibt oder sogar verstärkt wird. Gewinnt hingegen Kamala Harris, könnten Änderungen in der US-Außenpolitik im Nahen Osten eintreten. Harris hat wiederholt die friedliche Koexistenz von „zwei Staaten“ in der Region befürwortet, was zu Spannungen mit der derzeitigen israelischen Regierung führen könnte. Dennoch ist nicht auszuschließen, dass eine Harris-Regierung Jerusalem mit ähnlichem Eifer wie Trump-Regierung unterstützen wird.
Ankaras Position in diesem Konflikt ist recht komplex und vielschichtig, insbesondere angesichts der Politik von Präsident Erdogan. Zwar hat Erdogan seine Rhetorik und Kritik an Israel, insbesondere in der Palästina-Frage, verschärft, doch bleiben echte Schritte gegen die Politik Jerusalems begrenzt. Trotz politischer Differenzen hat die Türkei aus wirtschaftlicher Sicht ein Interesse daran, die Beziehungen zu Israel, einschließlich Handels- und Energiekooperationen, aufrechtzuerhalten. Auch Israel ist auf diese Zusammenarbeit angewiesen.
Gleichzeitig versucht Erdogan, die Türkei als Führer der muslimischen Welt und als Verteidiger der palästinensischen Rechte zu positionieren, was ihn zu harschen Äußerungen gegenüber Israel veranlasst. Ankara ist sich jedoch bewusst, dass ein direktes Eingreifen in den Konflikt die Stabilität der Türkei gefährden könnte, mit allen negativen Konsequenzen – nicht nur in der Region, sondern auch im Verhältnis zum „kollektiven Westen“, der Israel gerne unterstützt.
Es darf nicht vergessen werden, dass die Türkei NATO-Mitglied ist und ihre Beteiligung an Militäroperationen gegen Israel könnte die Beziehungen zum Westen, insbesondere zu den USA, erheblich belasten. Daher muss Ankara zwischen seinen eigenen Ambitionen und der Notwendigkeit, internationale Allianzen zu berücksichtigen, abwägen. Die Türkei möchte ihren Einfluss im Nahen Osten ausbauen, ohne jedoch große Risiken einzugehen.
Auch der iranische Faktor beeinflusst Ankaras Entscheidungen. Obwohl die Türkei in der Palästina-Frage oft mit dem Iran übereinstimmt, stimmen ihre Interessen und ihr Einfluss in der Region nicht immer mit denen des Iran überein. Hier stehen zwei konkurrierende regionale Akteure gegenüber, die beide große Ambitionen und die Mittel haben, diese sowohl im Nahen Osten als auch im Südkaukasus, dem „nördlichen Tor“, zu verwirklichen.
Insgesamt lässt sich feststellen, dass Ankaras Rhetorik vor allem auf das heimische Publikum und die Aufrechterhaltung des Images der Türkei als starker Akteur in der islamischen Welt abzielt. Gleichzeitig wird Ankara reale Schritte gegen Israel vermeiden, um die wirtschaftlichen und strategischen Interessen des Landes nicht zu gefährden.
Südkaukasus: Risiken und Chancen
Im Falle eines umfassenden Krieges im Nahen Osten sind die Vorhersagen für den Südkaukasus schwierig, da in dieser Region die Interessen mehrerer wichtiger Akteure aufeinandertreffen: Iran, Türkei, Russland und der kollektive Westen. Sollten die Spannungen zwischen Israel und dem Iran in einen offenen Krieg münden, hätte dies direkte Auswirkungen auf die Sicherheit sowohl Armeniens als auch Aserbaidschans, da beide an den Iran grenzen. Die Instabilität im Nachbarland könnte zu einer Verschärfung der Migrationskrise führen, was vor allem Armenien hart treffen würde. Darüber hinaus könnten auch vorübergehende Ausfälle von Energiequellen, Routen und Handelswegen Armenien stark beeinträchtigen.
Angesichts der komplexen, aber pragmatischen Beziehungen zwischen Ankara und Jerusalem könnte die Türkei unter Erdogans Führung ihren Einfluss im Südkaukasus, insbesondere in Aserbaidschan, weiter ausbauen. Dies könnte das regionale Gleichgewicht weiter destabilisieren und eine existentielle Bedrohung nicht nur für Armenien als Staat, sondern auch für die herrschende Elite in Aserbaidschan unter Aliyev darstellen.
Russland ist ein bedeutender Akteur in der Region, sowohl in Bezug auf Israel als auch insbesondere auf den Iran. Angesichts der Vertiefung der strategischen Partnerschaft zwischen Moskau und Teheran könnten Veränderungen in diesen Beziehungen zu Spannungen im Kaukasus führen. Moskau benötigt eine stabile Kommunikation mit dem Iran, was in gewisser Weise ein stabiles Aserbaidschan garantiert. Armenien, das sich in einem passiven Konflikt befindet, ist in Sicherheits- und Wirtschaftsfragen auf Russland angewiesen. Jede Änderung in den Prioritäten Moskaus könnte Jerewan somit in eine verwundbarere Lage bringen.
Jerewan selbst pflegt traditionell gute Beziehungen zu Teheran. Trotz der Tatsache, dass der Iran unter der Scharia und als überwiegend schiitischer Staat lebt, hat er dem christlichen Armenien seit dessen Unabhängigkeit 1991 häufig geholfen. Sollte der Iran jedoch in einen schwerwiegenderen Konflikt verwickelt werden, könnte seine Rolle als potenzieller Verbündeter Armeniens schwächer werden. Dies könnte Aserbaidschan – dessen Bedeutung sowohl für Ankara als auch für Moskau zunehmen wird, wie bereits in diesem Artikel erwähnt wurde – dazu verleiten, aggressivere Schritte gegen Armenien zu unternehmen.
Es ist jedoch auch nicht auszuschließen, dass die Iran-Krise Baku und Jerewan dazu veranlassen könnte, nach Wegen zur Deeskalation und zur Stärkung der Zusammenarbeit zu suchen. Insbesondere Moskau und Teheran dürften daran interessiert sein, zusätzliche Risiken in der Region zu vermeiden. Mit einer weiteren Eskalation im Nahen Osten und der möglichen Beteiligung Irans könnte der Südkaukasus eine Schlüsselrolle als Energietransitroute übernehmen, insbesondere wenn der Iran mit Sanktionen belegt wird oder seine Exportmöglichkeiten noch stärker eingeschränkt werden. In dieser Situation könnte Aserbaidschan seine Rolle als Öl- und Gaslieferant für Europa ausbauen, besonders angesichts der Tatsache, dass Europa nach der Ressourcenknappheit infolge des Ukraine-Kriegs seine Lieferungen diversifizieren möchte und bereits milliardenschwere Verträge mit Baku und Ankara (als Transitstaat) unterzeichnet hat. Auch für Brüssel wird die Bedeutung Aserbaidschans somit weiter steigen. Darüber hinaus könnte Aserbaidschans Teilnahme an internationalen Wirtschaftsinitiativen wie der Neuen "Seidenstraße" seine strategische Position weiter stärken.
Jerewan könnte versuchen, seine diplomatischen Beziehungen zum Westen zu intensivieren, indem es sich als stabiles und berechenbares Land präsentiert, insbesondere angesichts der zunehmenden "iranischen Aggression" sowie der Fortdauer des Krieges in der Ukraine, indem Armenien sich klar als antirussischer Staat positioniert.
Fazit: Zusammenfassung der Prognosen für den Südkaukasus
Für Aserbaidschan bestehen Chancen, seinen geopolitischen und wirtschaftlichen Einfluss durch die Nutzung seiner Nähe zu Türkei, Russland, China und sogar zum Westen, insbesondere der Europäischen Union, zu vergrößern und zu stärken. Gleichzeitig kann es seine wirtschaftlichen Perspektiven durch die Nutzung seiner Energieressourcen verbessern.
Die Risiken für Armenien hingegen hängen mit einer möglichen Abschwächung der Unterstützung durch Iran und Russland zusammen. Dennoch gibt es die Möglichkeit, die diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen zum Westen zu stärken, auch wenn dies mit ungewissen Aussichten und auf Kosten der Verärgerung sowohl des Iran als auch Russlands verbunden sein könnte. Gleichzeitig sollte in Jerewan berücksichtigt werden, dass die Armenier, wenn sie vom Westen sprechen, in erster Linie auch die Türkei im Blick haben sollten.
Generell könnte der Südkaukasus zum Schauplatz bedeutender Veränderungen werden, abhängig von der Entwicklung der Lage rund um den Iran. Der Erfolg Armeniens und Aserbaidschans wird von ihrer Fähigkeit abhängen, sich an die veränderten geopolitischen Bedingungen anzupassen.
===============
#Israel #Iran #USA #Türkei #Armenien #Aserbaidschan #Russland